Zwischenbericht Nr. 7

Liebe Freundinnen und Freunde der Medizinhilfe, liebe Interessentinnen und Interessenten,

nach langer Pause (schon wieder sind vier Monate vergangen) sende ich erneut aktuelle Informationen über unsere Hilfe und die Lebenssituation in der Ukraine. Wir sind dankbar für das bleibende Interesse und die so nötige Unterstützung auf vielen verschiedenen Ebenen an unserer medizinischen und menschlichen Arbeit in diesem noch immer laufenden Krieg.

Viele möchten wissen, wie es den Menschen in der Ukraine geht und wie sie diesen Krieg aushalten – nun schon über 530 Tage! Durch die Erweiterung unserer Arbeit auf die ganze (erreichbare) Ukraine, haben wir seit Herbst 2022 „Volunteers“ verschiedener NGO aus den zentralen, östlichen und südlichen Gebieten persönlich kennen gelernt. Mit einigen bin ich in Kontakt geblieben. Zusätzlich zu den Mails telefoniere ich regelmäßig maximal alle sechs Wochen ausführlich mit jemandem aus dem Medical Center – oft Viktor oder Pal.

Es gibt keinen Menschen in der Ukraine, der nicht vom Krieg betroffen ist. Es schlagen zwar nicht überall Raketen und Drohnen ein, aber alle leiden unter der Daueranspannung mit den vielen, vor allem nächtlichen Alarmen und Angriffen. Die Menschen haben teilweise die letzten Monate nachts mehr im Keller/U-Bahn oder Schutzbunker verbracht als in ihren Betten. Alle haben jemanden, der aktuell im Krieg aktiv beteiligt ist, oder sie haben bereits jemanden verloren oder jemanden, der verwundet wieder nach Hause zurückgekehrt ist – bestenfalls. Die Inflation lag lange bei über 35%. Die Kosten für Energie (Strom, Heizung) haben sich seit Kriegsbeginn verdoppelt. Aber weder Löhne (wenn überhaupt noch bezahlte Arbeit vorhanden ist) als auch Renten haben sich erhöht. Das ohnehin schon überlastete Gesundheitssystem kann vermutlich die Zivilbevölkerung nur noch rudimentär versorgen. Ich habe größten Respekt vor den Ukrainerinnen und Ukrainern, dass sie trotzdem für ihr Land und ihre Familien unter diesen enormen Anspannungen noch arbeiten, kämpfen, sich kümmern. Und die Logistik in diesem Land ist einfach sensationell gut, schnell und zuverlässig geworden. Die Menschen wachsen über sich hinaus und unterstützen ihre Nächsten und auch die Soldatinnen und Soldaten an der Front. Weil die Alternative grausam wäre – unter der Russischen Föderation will keiner mehr leben in der Ukraine.

Im September fahren Claudia Borowski, ehrenamtliche Stadträtin in Hanau, aktuell auch Präsidentin des Zonta Club Hanau, und Andreas Thienert, Mitarbeiter aus dem Kirchenkreisamt Hanau, mit ins Medical Center. Wir planen 3,5 Tage vor Ort zu sein, Zeit für Gespräche mit verschiedenen Gruppen und Besuche z.B. bei der Rektorin Prof. Tetjana Scherban in der Universität der Stadt Mukachevo, um unsere Verbindungen langsam wachsen zu lassen. Ihr Wunsch bei unserem Besuch im Herbst 2022 lautete: Praktikumsplätze und vielleicht auch einen Platz für eine/n Werksstudenten für ihre Universität wäre eine gute Unterstützung. Wir versuchen dies zu ermöglichen, aber es scheinen unglaublich hohe bürokratische Hürden zu bestehen. Mal sehen, was machbar ist. Im nächsten Zwischenbericht kann ich hoffentlich mehr und dann Positives zu dem Thema berichten.

In „unserem“ Medical Center scheint eine gewisse Stabilität eingetreten zu sein, wobei wir dank der Unterstützung Vieler auch in 2022 dieser Ambulanz mit den 19 verschiedenen Fachrichtungen viel Hilfe zukommen lassen konnten. Der große Stromgenerator funktioniert einwandfrei. Auch hier kann ich vielleicht Neues nach unserer Rückkehr schildern.

In der Unterstützung der Kliniken und Institutionen in der am meisten betroffenen östlichen und vor allem auch süd-östlichen Ukraine werden wir immer phantasievoller, die Hilfsgüter zu den Zielorten zu transportieren. Wir haben seit dem letzten Rundbrief mindestens 20 Umzugskartons mit einem Maximalgewicht von je 30 kg voll mit Medikamenten, Verbandmaterial, medizinischen Hilfsmitteln und dringend benötigten chirurgischen Instrumenten nach Odessa, Pavlorad, Dnipro, Cherson und Kharkiv schicken können. Das funktioniert so, dass wir für den jeweiligen Zielort Ladelisten und Zolldokumente erstellen. Das hilfsbereite Team unserer Hanauer Spedition Hellmann East Europe lädt diese Kisten für uns kostenfrei mit auf LKW, die nach Kiew fahren. Wir haben einen Kontaktmann in Kiew, den wir über den in Mukachevo gebürtigen in Saporischschya und Odessa tätigen Juraprofessor Maxym Tkalych, gefunden haben. Diese Kontaktperson nimmt unsere Pakete in Empfang und versendet sie mit der offiziellen ukrainischen “nouva posta“ direkt weiter an die Zielorte. Das funktioniert bislang sehr gut. Im Frühsommer haben z.B. auf diese Weise mehrere Umzugskartons Hanau freitags verlassen und waren bereits mittwochs in Odessa!

Weiter füllen wir immer wieder Autos von „Volunteers“, vorwiegend aus Kharkiv und Kiew von den dortigen NGO mit denen wir in Kontakt stehen, mit medizinischem Material und Hygieneartikeln. Die Volunteers sind Herren im wehrfähigen Alter, die zu einer zugelassenen NGO gehören und offiziell die Ukraine verlassen dürfen. Auf dem Rückweg müssen sie Hilfsgüter mitbringen. Auf diese Weise haben wir auch Prof. Maxym Tkalych kennengelernt. Um Spenden für seine NGO in Odessa zu generieren, fand im April einen Vortragsabend als Benefiz statt. Mit den Einnahmen haben wir Infusionen gekauft. In diesem Jahr konnten wir so schon acht Mal tätig sein. Als Nachweis erhalten wir – wie bei den großen Transporten – oft per WhatsApp mit Fotos die Informationen, dass diese angekommen sind – was uns zufrieden macht und Kraft gibt, auch weiter durchzuhalten. Denn diese lange Zeit – praktisch ohne Pause immer im Stand-by zu sein- kostet Kraft. Auch das hat zu Veränderungen im Leitungsteam geführt. Einige haben sich aus ihrer Funktion verabschiedet, neue Aktive sind hinzugekommen. Wir haben in dieser Woche gemeinsam beschlossen, dass wir weiter die gesamte Ukraine unterstützen (solange wir die Ressourcen haben). Selbstverständlich unterstützen wir das Medical Center weiter.

Im letzten Bericht hatte ich erzählt, dass wir erstmals einen Transport nach Kiew senden, der dann geteilt an verschiedene Orte weiter gebracht wird. Die Transporte nach Kharkiv und Saporischschya waren kein Problem, aber der Empfänger in Dnipro konnte – trotz vorheriger Absprache- die Ladung nicht annehmen. So hat unser Transporteur Michael Kröger spontan diesen Teil der Ladung weiter nach Pavlorad gebracht. Dort gibt es ein aus den besetzten Gebieten evakuiertes provisorisches Krankenhaus mit einer engagierten Chefärztin. Diese habe sich riesig gefreut, da sie sehr viele verletzte, geflüchtete Zivilisten versorgt. Michael Kröger weiß, dass es uns als Medizinhilfe wichtig ist, dass vor allem Zivilisten mit unserer Hilfe medizinisch versorgt werden können. Natürlich werden auch Soldatinnen und Soldaten mit versorgt. Wahrscheinlich besteht die ukrainische Armee inzwischen sowieso zu 70% aus Zivilbevölkerung.

Vielleicht fragt man sich bei dem Lesen der Zwischenberichte, woher wir denn nach so langer Zeit der Not und der vielen Transporte in die Ukraine noch immer Sachspenden in größerem Umfang erhalten. Dank unseres Rufes als seriöse Initiative, des guten Netzwerks und der vielen engagierten Helferinnen und Helfern, unserer langjährigen Projekterfahrung, der Flexibilität bei der Abholung von Spenden und der Bemühung unsere Arbeit transparent zu dokumentieren und zu zeigen, werden wir – Gott sei Dank – immer wieder bedacht. So haben wir Mitte Juni eine orthopädische Praxis in Gedern/ Vogelsberg abbauen dürfen. Nach drei anstrengenden Tagen mit Arbeiten in großer Wärme war die 250 m² große Praxis geleert. Weiter erhalten wir regelmäßig nicht mehr benötigte Hilfsgüter aus dem St. Katharinen-Krankenhaus in Frankfurt. Nach und nach konnten wir die Corona-Vorsorge-Materialien der Stadt Hanau wie Mundschutz, Handschuhe, Desinfektionsmittel und Corona-Tests mit unseren Transporten an verschiedene Orte in der Ukraine bringen. Die Stadt Hanau ist auch auf diese Weise eine der wenigen Städte, die kaum Entsorgungskosten hat. Wie schön, dass wir so gut zusammen arbeiten – und das nun schon viele Jahre. Ein herzliches DANKESCHÖN an die Leitung der Stadt sowie die Verwaltung und ihre Mitarbeitenden! 

Nach der Sprengung des Kachowka-Staudammes haben wir beschlossen, den nächsten Transport nach Cherson zu schicken. Ziemlich erschüttert hat mich die ganz dringende WhatsApp-Nachricht mit der Bitte um ganz viele verschiedene Feuchttücher und um Damenbinden. Das bedeutet: Cherson – bis jetzt an einem Stausee gelegen – hat massiven Mangel an Frischwasser! Leider wurde inzwischen nun auch diese Klinik angegriffen und erheblich zerstört. Wie gut, dass unser Transport erst Mitte nächster Woche dort ausgeliefert werden soll und sie nun bald die vielseitig einsetzbaren Möbel, Stühle, Liegen und mehrere Paletten Verbandmaterial erhalten werden. Und nun zusätzlich 15 große Pakete mit Feuchttüchern und Hygienematerialien sowie 3000 Tabletten, die jeweils einen Liter sauberes keimfreies Wasser herstellen.

Unser Engagement scheint auch zunehmend politische Beachtung zu finden. Im Mai ist das Leitungsteam zwei besonderen Einladungen gefolgt und hat mich urlaubsbedingt vertreten. Wir haben – wie schon berichtet – einen von acht Sozialpreisen des Main-Kinzig-Kreises von der stellvertretenden Landrätin in einer ehrenden Veranstaltung erhalten. Der Landtagsabgeordnete für unsere Region Max Schad unterstützt uns seitdem auf verschiedenen Wegen. Bereits zwei Wochen später war die Medizinhilfe zu einer Veranstaltung beim Landrat des Main-Kinzig-Kreises eingeladen. Inzwischen sind wir für den deutschen Ehrenamtspreis vorgeschlagen worden.

Nach meinem ausgiebigen Urlaub bei Freunden im Mai in Florida fand Anfang Juni erstmals ein Benefizkonzert für die Medizinhilfe statt. Der Kiwanis Club in Bonn, in dem meine Cousine Ute Hoffert aktives Mitglied ist, hatte sich für uns entschieden. Die auf diese Weise so großzügig entstandene Spende muss für Kinder verwendet werden. Da wir bis auf ganz wenige Ausnahmen ausschließlich Sachspenden leisten und die Situation in der Ukraine so wechselhaft ist, sind wir noch auf der Suche nach einer passenden Institution. Wenn wir wissen, wem wir die Spenden zuverlässig zukommen lassen können, werden wir diese auf unserer Homepage veröffentlichen. Danke herzlich an Werner Liebchen, der unsere Homepage seit 2010 kostenfrei gestaltet!

Leider schaffe ich es zeitlich oft nicht, unsere Arbeit zeitnah auf unserer Homepage zu veröffentlichen. Ich bedauere das sehr und hoffe bald jemanden zu finden, der diesen Teil unseres Projektes zusammen mit mir aktiv betreuen wird. Denn über 84.000 Klicks in 13 Jahren scheinen ziemlich viel zu sein. Sollte jemand, die/ der diese Zeilen liest, Interesse haben aktiv, gerne auch längerfristig – vor allem in journalistischer Arbeit – mit zu arbeiten – bitte am besten per Mail melden. Wir freuen uns über Unterstützung und brauchen diese Hilfe wirklich.

Diese Woche habe ich gelesen, dass 7,3 Millionen Ukraine:rinnen durch die humanitäre Hilfe in der Ukraine direkt unterstützt werden. Wie schön, dass wir ein kleiner Teil dieses umfassenden Netzwerkes sein dürfen. Und wie es derzeit aussieht, wird unsere Hilfe noch lange nötig sein.

Ich würde mich freuen, wenn Sie und Ihr einen Eindruck erhaltet wie wir arbeiten und das wir vor allem mit den Spenden sehr sorgsam umgehen. Bitte bleiben Sie, bleibt Ihr an unserer Seite.

Herzlichen Dank, freundliche Grüße und noch einen schönen Sommer Dr. Martina Scheufler, auch im Namen des Leitungsteams der Medizinhilfe

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1 Comment

  1. Dr. Brigitte Erbslöh-Möller on 13.11.2023 at 12:59

    Hochachtung!! Ich wünsche euch weiterhin viel Erfolg.

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